Der Wettbewerb fand im Rahmen des Projekts LANDSTADT Bayern, einer Initiative für innovative Stadtentwicklung des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr statt. Die Stadt Dorfen ist für die Konversion des ehemaligen Werksgeländes der Ziegelei Meindl als eine der 10 LANDSTÄDTE ausgewählt worden.
Am 13.09.23 tagte das Preisgericht und der Entwurf unseres Büros (in Kooperation mit Landschaftsarchitekten Toponauten) kam in die engere Wahl, die sogenannte „Shortlist“ der 4 Bestplatzierten.
Gerne stellen wir hier unseren Wettbewerbsbeitrag vor.
Eine Kulturstätte als Initialzündung
Wie ein Rohdiamant sitzt der Kulturort „Tonwerk“ aktuell zwischen vergangener und neuer industrieller Nutzung. Im Westen von der steinernen Großstruktur der alten Ziegelei begrenzt, im Süden durch die Sumpfhalle und ein neues Industrie- und Gewerbegebiet und im Westen der Timber-Campus und weitere Modulbauten des ansässigen Investors.
Die verhältnismäßig kleinen Hallen um das Tonwerk stellen den zu erhaltenden Kern des Wettbewerbsareals dar, den es nun so zu formen gilt, dass dieser als Initialzündung für ein zukunftsfähiges neues Quartier funktioniert.
Aufbruch und Neugliederung
Hierfür müssen die großen baulichen Strukturen aufgebrochen, Flächen entsiegelt und die an den Rand gedrängte Landschaft ins Areal gezogen werden. Auch der Sprung über die Bahn ist ein wichtiger Baustein, damit der neue Kern des Quartiers, der sich um die erhaltenen Gebäude des Tonwerks entwickelt, eine Verbindung mit der Stadt Dorfen eingehen kann.
Der Bestand im Norden spannt zusammen mit der zur Hälfte erhaltenen Sumpfhalle die neue Mitte des Quartiers auf, die sich nach Nord-Westen zum Stadtzentrum Dorfens ausrichtet und im Inneren einen großen Quartiersplatz als Raum für Veranstaltungen fasst. Um diesen starken Kern herum gliedern sich sechs Gehöfte, drei im Westen und drei im Osten. Durch die hofseitige Erschließung bilden sich starke Nachbarschaften und lebendige Höfe. In den Blockzwischenräumen zieht sich die Landschaft aus der Umgebung bis zum Kern hinein und sorgt so für eine bessere Durchgrünung. Nach Süden hin zieht die Topografie immer stärker an, sodass auch die Geometrie der Gehöfte sich verändert und mit der Bewegung der Landschaft mit geht. Ziel ist es so ein neues Quartier zu schaffen, dass Identität aus dem starken Kern zieht und gleichzeitig sensibel im Umgang mit der Landschaft ist. So kann auch das Wäldchen im Südwesten als wertvolle Grünstruktur erhalten und in ein großzügiges Freiraumgefüge integriert werden, das zum einen Spiel- und Nacherholungsflächen östlich säumt, und zum anderen Kindergarten Außenflächen westlich begrenzt.
Nutzungsschablone
Die neue Quartiersmitte soll neben dem bereits vorhandenen Kulturangebot um Gewerbe und Einzelhandelsflächen erweitert werden. So profitieren diese Nutzungen von der guten Erreichbarkeit durch die Bahn und die Haupterschließung, sowie der Hochgarage. Damit die Belebung des Kerns nicht nur zu Geschäftszeiten gewährleistet wird, soll ein Wohnangebot im 5. Stock sowie Gastronomienutzung im Erdgeschoss auch nach Ladenschluss Besucher*innen anziehen. Die Gehöfte sind größtenteils auf Wohnen ausgelegt. Dabei findet eine Durchmischung von Gewerbe, Geschosswohnungsbau und komprimiertem Einfamilien-Wohnen statt, die für eine heterogene Bewohner*innen Struktur sorgt. Dieser Mix ermöglicht eine hohe Flexibilität und soll vor allem im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung ein Angebot darstellen, dass die Bewohner*innen ermutigt ihre Wohnsituation auf ihre Lebenssituation anzupassen, ohne Abstriche bei Qualität und Versorgung machen zu müssen. Eine Sondernutzug stellt der Kindergarten im Süden dar. Der erhaltene Teil der Sumpfhalle mit der Lage nahe den Freiflächen und des Wäldchens bietet Kindern einen optimalen Ort, um sich frei zu entfalten.
Bauabschnitte
Im ersten Bauabschnitt ist neben der Kern-Infrastruktur mit Straßenherstellung geplant, die zentralen Freiflächen inkl. der für den ÖPNV notwendigen Flächen zu realisieren. Baulich wird vorgeschlagen die Nordöstliche Bebauung neu zuordnen sowie die Quartiersmitte um das Tonwerk mit Parkgarage.
Die weiteren Bauabschnitte folgen im Uhrzeigersinn der Logik, die Bestehende Industriehalle mit PV-Anlage erst zum Schluss zu realisieren.
Schallschutz
Das Quartier ist von Immissionen dreier Lärmquellen betroffen. Dem Bahnlärm aus dem Norden wird über die Erstellung einer Lärmschutzwand durch die Bahn AG begegnet. Dabei bietet die Baukörperstellung der nördlichen Höfe zusätzlichen Schutz. Solange die Lärmschutzwand der Bahn noch nicht realisiert wurde, können bei Bedarf die Lücken der nördlichen Höfe durch transparente Lärmschutzmaßnahmen geschlossen werden. Die innere Lärmquelle durch das Tonwerk schirmt die umgebende mehrheitlich gewerbliche Bebauung ab. Wohnnutzungen im Penthouse-Bereich sind lärmabgewandt orientiert.
Der geplante Lückenschluss der südlichen, gewerblichen Bebauung zusammen mit dem topographisch notwendigen Abstand vermindert den Gewerbelärm aus dem Süden.
Parkierung
Damit möglichst wenig in den zum Teil als stark belastet einzuschätzenden Boden eingegriffen werden muss, wird eine Quartiersgarage im Zentrum als Mobility Hub errichtet. Lediglich die Gebäude im Kern und die beiden nördlichen Gehöfte werden mit Tiefgaragen unterkellert. Dabei wird darauf geachtet, dass die Höfe sich vollständig unterkellert werden, sodass es großzügig dimensionierte Grünflächen mit Bodenanschluss gibt, die Ort für Versickerung und Großbäume sind. Die vier südlichen Gehöfte nutzen die Topografie so, dass nur teilweise in den Hang gegraben werden muss und eine natürliche Belüftung und teilweise Belichtung von Norden her über die Blockzwischenräume möglich ist. In den Reihenhäusern wird im Erdgeschoss geparkt und darüber gewohnt, was dazu führt, dass ein ebenerdiger Auftritt in den Garten im Süden möglich ist. Die primäre und sekundäre Erschließung ist neben den Mobility Points ausschließlich mit Kurzzeitparken ausgestattet.
Klimaanpassung und Entwässerung
Eine der größten Herausforderungen der städtebaulichen Aufgabe ist es den Folgen der Klimakatastrophe durch resiliente Planung standhalten zu können. Damit die geforderte Dichte erreicht wird und trotzdem qualitätvolle Freiräume entstehen, werden deswegen verschiedene Werkzeuge verwendet, die neben dem schon vorhandenen Hangwasser auch mit den zu erwartenden Starkregenereignisse und Dürren umgehen kann.
Vermeidung von Hitzeinseln
Durch Entsiegelung und begrünte Dächer sind weniger Flächen der extrem starten Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Hinzu kommt, dass Flächen wie Feuchtbiotope, in denen Wasser auch über in Regenzeiten hinaus steht, als Kühlakkus fungieren und zusammen mit einer guten Durchlüftung diese kühle Luft durchs Quartier strömt. Auch Frischluftschneiden, die von der umgebenden Landschaft durch Quartier ziehen tragen zur Kühlung bei.
Die Feuchtbiotope sind darüber hinaus wertvolle Habitate und fördern die Biodiversität im urbanen Gebiet.
Wasser halten und versickern
Alle Dächer werden mit Retentionskörper ausgestattet und sorgen mit dieser Schicht aus „Schwämmen“ dafür, dass Niederschlagswasser der extensiven uns intensiven Bepflanzung auf den Dächern zu Verfügung gestellt werden und durch die Pflanzen wieder verdunstet. Überschüssiges Wasser kann zwischenzeitlich durch gespeichert und gedrosselt an die Sickerfläche im Hof abgegeben werden, sofern die Pflanzschicht versorgt ist.
Alle Höfe verfügen trotz Tiefgaragen über eine große am Erdreich angeschlossenen Sickerfläche. Über diese Flächen kann das Niederschlagswasser direkt dem Grundwasser gefiltert zugeführt werden und so die Grundwasserneubildung vor Ort fördern.
Im Kern des Quartiers sind die Platz- und Wegeflächen durch Pooren perforiert. Hierbei handelt es sich um Baumquartiere, die mit Rigolen ausgestattet sind und in die die Platzflächen durch natürliches Gefälle entwässern. Das Wasser kann dort angestaut, in der Baumrigole gespeichert und vor Ort versickert werden.
Extreme Regenereignisse
Bei extremem Starkregen oder langen Regenperioden, die die Kapazität der Mulden, Dächer und Pooren übersteigen, gibt es Zusatzmechanismen, die bei Überlastung anspringen. Die Mulden im Hof sind über Überläufe mit den Mulden in den Zwischenräumen des Blocks verbunden, die letzten Endes in die große Mulde im Nord- Osten und final zum Vorfluter laufen. Zusätzlich dazu gibt es flutbare Freiflächen, in denen Wasser schadfrei stehen kann. Zu diesen Flächen zählt die zentrale Veranstaltungsfläche aus Schotterrasen in der Quartiersmitte, sowie die Fläche unter der Fuß- und Radbrücke und die Fuge entlang der Bahngleise.
Mobilitätskonzept
Damit das Quartier so wenig wie möglich von Autos dominiert wird, jedoch trotzdem ein realistisches Maß an Erreichbarkeit mit dem MIV angeboten werden kann, wird die öffentliche Erschließung in primäre und sekundäre Erschließung unterteilt. Der Kernbereich des Quartiers sowie die Gehöfte, bis auf die beiden südlichen, bleiben gänzlich autofrei.
Die primäre Erschließung verläuft westlich am Kern entlang und bindet so die Hochgarage, die gleichzeitig als Mobility hub funktioniert, und den Supermarkt als Quartiersversorger an. Im Süden und Nordwesten bindet diese Straße dann an die B15 und die St2084 an. Die Querungen sind mit Inseln ausgestattet, sodass der Verkehr ruhig fließt und die Fußgänger sicher queren können. Die sekundäre Erschließung ist untergeordnet und ist neben der Erschließung der Tiefgaragenzufahrten auch für die Anfahrt der Bushaltestelle im Norden und den Bahnhof notwendig. An den Stirnseiten der Gehöfte sorgen Mobility Points dafür, dass Sharing Angebote, Carpooling, Kiss and Ride Möglichkeiten und sonstige Leihkonzepte den Bewohner*innen zur Verfügung stehen und eine Alternative zum MIV darstellen.
Das Fuß- und Radwegenetz zieht sich feingliedrig durch die Gehöfte und deren Zwischenräume. Ein Quartier der kurzen Wege soll dazu animieren möglichst viel fußläufig und mit dem Rad zu erledigen. Der sensible Umgang mit der Topografie sorgt dafür, dass auch die Hanglagen gut und so weit wie möglich barrierefrei zu erreichen sind.
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